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Denkschrift für den Vorschlag des Postblattes von Heinrich von Stephan

Er verteilte seine Denkschrift am 30. November 1865 bei der 5. Postvereins-Konferenz in Karlsruhe außerhalb der Sitzungen. Die Denkschrift war "metallographisch" vervielfältigt und lautet:

Die Form der Briefe hat, wie viel andere menschliche Einrichtungen, im Laufe der Zeiten mehrfacher Wandlungen unterlegen. Im Altertum wurden die Wachstafeln, welche die Schrift enthielten, mit Ringen verbunden. Der Brief war sozusagen ein Buch. Dann kam die Form der Rolle, welche noch bis ins Mittelalter reichte. Diese machte wiederum der bequemeren Form des Faltens bez. Couverts Platz. Jene Hauptformen bildeten sich in allmählicher Entwicklung und durch verschiedene Uebergangsstufen aus. Das Material war dabei von Einfluß: die Tafel, das Pergament, das Papier; in neuester Zeit sind Versuche gemacht, Briefbogen aus Eisen herzustellen. Das Material war aber für die Form der Brief nicht allein entscheidend: vielmehr wurde dieselbe auch durch achtbare Bräuche, wie durch flüchtige Moden, durch geschäftliche Bedürfnisse, wie durch die Arten des Transports wesentlich mit bestimmt. Aus verschiedenen Wandlungen ist Form aber immer einfacher hervorgegangen. Dies dürfte zum Teil auch von der Form des Inhalts gelten, wie der Schwulst des Briefstyls früherer Zeiten, die Häufung der Titulaturen usw. beweist. Die jetzige Briefform gewährt für eine erhebliche Anzahl von Mitteilungen nicht die genügende Einfachheit und Kürze. Die Einfachheit nicht, weil Auswahl und Falten des Briefbogens Anwendung des Couverts, des Verschlusses, Aufkleben der Marke usw. Umständlichkeiten verursachen; und die Kürze nicht, weil, wenn einmal ein förmlicher Brief geschrieben wird, die Konvenienz erheischt, sich nicht auf die nackte Mitteilungen zu beschränken. Die Weitläufigkeiten treffen den Absender wie den Empfänger. In unseren Tagen hat das Telegramm bereits eine Gattung von Kurzbriefen geschaffen. Nicht selten telegraphiert man, um die Umständlichkeit des Schreibens von Anfertigens eines Briefes zu ersparen. Auch Uebersendung einer Visitenkarte usw. ersetzt für verschiedene Gelegenheiten einen förmlichen Brief.
Diese Betrachtungen lassen bei dem Postwesen eine Einrichtung etwa in nachstehender Art vielleicht zeitgemäß erscheinen. Bei allen Poststellen, sowie bei den Briefträgern und Landbriefträgern kann das Publikum Formulare zu offenen Mitteilungen erhalten. Ein solches Formular "Postblatt" hat die Dimension eines gewöhnlichen Briefcouverts größerer Art uns besteht aus steifem Papier, entspricht mithin etwa nach Dimensionen und Beschaffenheit den in einigen deutschen Postbezirken neuerdings eingeführten Post-Anweisungen. Die Vorderseite würde oben als Ueberschrift die Benennung des Postbezirkes und eine entsprechende Vignette (Landeswappen etc.) tragen, links einen markierten Raum zum Abdruck des Postaufgabestempels, rechts die Postfreimarke gleich in das Formular hineingestempelt, dann ein Raum zur Adresse (wie bei den Post-Anweisungen) mit dem Vordruck: "An", "Bestimmungort" und "Wohnung des Empfängers", sowie die vorgedruckte Notiz: "die Rückseite kann zu schriftlichen Mitteilungen jeder Art benutzt werden, dieselben können gleich wie die Adresse mit Tinte, Bleifeder, farbigem Stift usw. geschrieben sein; indes darf bei Verwendung von Bleistift etc. der Deutlichkeit und Dauerhaftigkeit der Schriftzüge, namentlich auf der Adresse, nicht Eintrag geschehen." Ein solches Postblatt wird nun gratis durch die Post befördert, da der Portobetrag beim Kauf des Formulars entrichtet worden ist. Dieser Portobetrag würde möglichst niedrig festzustellen sein, etwa auf 1 Sgr., ohne Unterschied der Entfernung; für das Formular wird nicht entrichtet. Die Manipulation der Postblätter im technischen Postdienst würde sich, wie der Erfahrung bei den Post-Anweisungen bewiesen hat, wegen der gleichmäßigen Form, der klaren Adressen und der Markenfrankatur sehr zweckmäßig gestalten.
Dem Publikum dürfte die Einrichtung, zumal wenn die anfängliche Scheu vor offenen Mitteilungen bei näherer Einsicht von der Sache überwunden sein wird, für viele Gelegenheiten und Verhältnisse willkommen sein. Wie umständlich ist es z. B. oft auf Reisen, unterwegs eine kurze briefliche Nachricht von der glücklichen Ankunft, von der Nachsendung eines vergessenen Gegenstandes usw. an die Angehörigen gelangen zu lassen; künftig wird ein Postblatt aus dem Portefeuille gezogen, mit Bleistift im Coupé, auf dem Perron etc. ausgefüllt und in den nächsten Briefkasten oder Eisenbahn-Postwagen gesteckt. Hinsichtlich einer großen Zahl von Bestellungen, Benachrichtigungen etc. würde die Uebermittlung "per Postblatt" wahrscheinlich bald in die geschäftliche Usance, wie in den geselligen Gebrauch übergehen.

Quelle: Franz Kalckhoff: Die Erfindung der Postkarte und die Korrespondenz-Karten der Norddeutschen Bundespost, Verlag von Hugo Krötzsch & Co, Leipzig 1911, Seite 4 f